Das Pangolin gehört zu den weltweit am häufigsten gewilderten und geschmuggelten Säugetieren. Und nun gilt es auch noch als möglicher Zwischenwirt für das Coronavirus. Auf der Suche nach einem Urzeit-Phantom.
Text: Nathalie Bertrams; Fotos: Brent Stirton
Ein Pangolin einzufangen ist ein Kraftakt. Fast zwei Wochen lang ist David Lehmann mit seinem sechsköpfigen Team in Gabuns Nationalpark Lopé-Okanda unterwegs, durch ein Mosaik aus Flüssen, undurchdringlichen Wäldern, Grasland-Savannen und Sümpfen. Das Unterholz im Regenwald ist so dicht, dass nur wenige Sonnenstrahlen den schlammigen Boden erreichen. Die Forscher klettern über steile Pfade und schlagen einen Weg durch Dickicht, Dorngestrüpp und Schlingpflanzen. Dazwischen lauern Pythons, Schimpansen und Waldelefanten. Die Expedition ist dem Schuppentier auf den Fersen, doch immer wieder verliert sie die Spur des scheuen Ameisenfressers.
Seit etwa einem Jahr arbeitet Lehmann, der am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin promoviert hat, an der Erforschung des größten der vier afrikanischen Pangolins, dem Riesenschuppentier Smutsia gigantea. Der knapp 5000 Quadratkilometer große Lopé-Nationalpark liegt 300 Kilometer südöstlich von Libreville, eine Tagesreise über matschige Pisten – oder eine zehnstündige nächtliche Zugfahrt von Gabuns Hauptstadt entfernt. Neben Elefanten, Gorillas, Schimpansen und farbenprächtigen Mandrill-Affen, die in Gruppen von bis zu 1200 Tieren zusammenleben, kommen hier drei der vier afrikanischen Pangolin-Arten vor.
Das internationale Team versucht, die nachtaktiven Säugetiere aufzuspüren und mit GPS-Sendern zu versehen, um mehr über ihre Ökologie, ihren Bewegungsradius und ihr Fortpflanzungsverhalten zu erfahren. Man weiß viel zu wenig über sie, um sie effektiv schützen zu können. “Es ist Pionierarbeit”, sagt Lehmann, seit fünf Jahren Forschungsleiter des gabunischen Schutzgebietes. “Wir sind dabei, die Tür zu einem neuen Universum aufzustoßen.”
Die Zeit drängt. Die je vier asiatischen und afrikanischen Arten des Schuppentiers stehen auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN. Sie gelten als die weltweit am häufigsten gewilderten und geschmuggelten Säugetiere. Vor Kurzem gerieten sie ins Rampenlicht, weil chinesische Forscher sie als möglichen Überträger des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 identifiziert hatten. Zwar gelten Fledermäuse als der wahrscheinliche Wirt des Virus, aber das Pangolin könnte als Zwischenwirt fungiert haben. Diese potenzielle Verbindung zum Pangolin hatte Ende Februar dazu geführt, dass die Regierung Chinas alle Wildtiermärkte und über 20 000 unregulierte Wildtierfarmen im Land schließen ließ.
Seit 2017 ist das Pangolin geschützt und darf laut dem Washingtoner Artenschutzabkommen (Cites) nicht international gehandelt werden. Dass das trotzdem noch passiert, liegt an der großen Nachfrage – vor allem aus China und Vietnam. Dort wird Schuppentierfleisch als Luxus-Delikatesse und teures Statussymbol hoch geschätzt. Und in der traditionellen chinesischen Medizin gelten die Schuppen, meist zu Pulver zermahlen, als Heilmittel gegen verschiedene Leiden – gegen Akne, Rheuma, Asthma, “Hysterie” und sogar Krebs.
Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für ihre Wirksamkeit, schließlich bestehen sie schlicht aus Keratin, demselben Material wie menschliche Fingernägel. Das jüngste chinesische Handelsverbot für Wildtiere lässt übrigens weiterhin den Handel für medizinische und Forschungszwecke zu.
Die Nachfrage nach dem Pangolin wird sich vermutlich kaum ändern: Experten befürchten, dass das Verbot den Markt in den Untergrund und die Preise hochtreiben wird. Die asiatischen Wildpopulationen sind so stark dezimiert – das chinesische Pangolin gilt als de facto ausgestorben -, dass die wachsende Nachfrage die Schuppentiere aus Afrika immer stärker bedroht. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2019 wurden weltweit 46,8 Tonnen Schuppen beschlagnahmt. Die IUCN schätzt, dass alle fünf Minuten ein afrikanisches Pangolin erlegt wird. Eine Studie aus 2018 schätzt, dass jedes Jahr bis zu 2,7 Millionen Schuppentiere auf dem afrikanischen Kontinent gewildert werden.
Auch in Gabun steht das Schuppentier traditionell auf dem Speiseplan. Die Nationalparkbehörde und die Regierung arbeiten jedoch seit vielen Jahren daran, die Menschen dafür zu sensibilisieren, vor allem keine Artverwandten wie Primaten zu wildern und zu verzehren. Wildtierökologe Lehmann ist sicher, dass die reine Subsistenzjagd keine Gefahr für die Spezies darstellt. Der Nationalpark Lopé ist geschützt genug, um die Populationen stabil zu halten. “Es ist der Konsum in Asien, der uns Sorgen macht”, sagt der Forscher.
Außer dem Menschen hat das Pangolin, das es seit geschätzten 80 Millionen Jahren gibt, keine natürlichen Feinde. Sein Körper ist bis auf Bauch, Gesicht und die Innenseiten der Oberschenkel mit messerscharfen, überlappenden Schuppen bedeckt. Bei Gefahr rollt es sich blitzschnell zu einer gepanzerten Kugel zusammen und stellt die Schuppen auf, eine böse Überraschung für eine Leopardentatze. Die Verteidigungstechnik hilft aber nicht gegen die Kabelschlingen der Wilderer.
Jede Nacht kommt das scheue Riesenschuppentier aus seinem Bau, um nach Insekten zu suchen. Es hat scharfe Klauen und eine klebrige Zunge, die fast so lang ist wie sein Körper, perfekt, um tief in Termitenhügel zu graben und sie zu räubern. Das macht es zu einer Schlüsselart für den Regenwald, sagt Lehmann, denn jede Nacht frisst es Hunderttausende Ameisen und Termiten und reguliert so deren Populationen. “Ohne diese Top-down-Kontrolle durch das Pangolin gäbe es katastrophale Konsequenzen für die Vegetation”, sagt der Forscher. “Besonders hier im Regenwald, in dem wir die Auswirkungen globaler Erwärmung schon stark bemerken.”
Es gibt noch viel zu untersuchen bei der Art. “Das Pangolin ist ein mysteriöses Säugetier, es gibt uns lauter Rätsel auf”, sagt Lehmann. “Nicht nur die Ökologie, sondern auch die damit zusammenhängenden Fragen der Erhaltung, der Forensik.” Dass es nachtaktiv ist und sich tagsüber in ausgedehnte unterirdische Höhlenbauten mit Dutzenden Eingängen zurückzieht, macht auch die Verfolgung schwer.
Während der Expedition ist das Pangolin, das Lehmann monatelang über Kamerafallen studiert hat, immer wieder wie vom Erdboden verschluckt. Lehmanns Fährtenleser, ein Ba’Aka-Pygmäe namens Zidane – benannt nach dem französischen Fußballspieler -, findet schließlich am letzten Tag einen abgeknickten Grashalm, der an einer Seite von Schuppen abgeschabt ist. Der entscheidende Hinweis auf den in der Nähe versteckten Bau.
Als das Tier mit Einbruch der Dunkelheit seinen Bau verlässt, wird es mit einem Netz gefangen, für die Anästhesiedosis gewogen und dann vom Veterinär Michel Halbwax betäubt. Laufend kontrolliert er die Vitalfunktionen und entnimmt dem Pangolin verschiedene Proben – Speichel, Kot, Schuppen und Muskel. Währenddessen schraubt Lehmann dem Tier mithilfe seiner Mitarbeiter einen GPS-Sender an den Schwanz. Nach zwei Stunden bekommt es ein Antidot und läuft davon. “Es ist das größte jemals dokumentierte Schuppentier – 1, 72 Meter lang und 38 Kilogramm schwer”, erzählt Lehmann. “Wir haben es Ghost genannt – Phantom -, weil es fast zwei Wochen lang unsichtbar war.”
Lehmann sagt, dass es ein maximaler Eingriff ist, ein Tier zu fangen, zu betäuben und ihm Proben zu entnehmen. Doch liefern sie wertvolle Informationen – GPS-Daten, DNA und Isotope -, die das Netzwerk von Kamerafallen zu einem umfassenden Bild ergänzen. Diese Daten sind der Schlüssel für wirksame Erhaltungsstrategien. Es gilt, entscheidende Wissenslücken zu schließen: Über die Lebenserwartung der Riesenschuppentiere, ihre sozialen Gewohnheiten, Fortpflanzung und Krankheitsanfälligkeit ist nahezu nichts bekannt. Vor allem Kenntnisse über die Größe der Reviere, die Populationsdichte und jahreszeitenabhängig bevorzugten Lebensräume der Tiere könnten der Nationalparkbehörde helfen, effizientere Maßnahmen gegen Wilderei zu finden, gezielte Patrouillen etwa.
Lehmanns Pangolin-Forschungsprojekt gehört zum Ecofac6-Programm der EU, die sich seit dreißig Jahren für Biodiversität im Kongobecken einsetzt. In sieben Ländern Zentralafrikas werden verschiedene Naturschutzprojekte und Forschung zur Artenvielfalt mit fast 90 Millionen Euro über vier Jahre finanziert.
Gabun liegt an der westlichen Atlantikküste Zentralafrikas, direkt am Äquator und grenzt an Äquatorialguinea, Kamerun und die Republik Kongo. Fast 90 Prozent der Landfläche sind mit Wald bedeckt, ein Fünftel des Landes steht unter Naturschutz. Doch durch die zunehmende Nachfrage nach Wildtierprodukten wie Nashorn, Elfenbein, Löwenknochen und Pangolin-Schuppen operieren internationale Syndikate auch in Gabun.
“Die Nachfrage aus China und die enormen Gewinnspannen ziehen die organisierte Kriminalität an”, bestätigt Lee White. “Wir sehen in Gabun gerade den Beginn der organisierten, kommerziellen Jagd auf Pangoline.” Der in Großbritannien geborene Biologe war zehn Jahre lang Nationalpark-Direktor des Landes und kämpft vor allem für die stark gewilderten Waldelefanten seiner Wahlheimat. White hat eine steile Karriere hinter sich: Im vergangenen Jahr wurde er zum neuen Minister für Wälder, Ozeane, Umwelt und Klimawandel in Gabun ernannt, nachdem sein Vorgänger wegen eines Skandals um illegale Tropenholzexporte entlassen worden war.
“Unser größtes Problem war und ist die Jagd nach Elfenbein. Diesen Krieg haben wir immer noch nicht gewinnen können”, sagt White. In den Regenwaldgebieten an den Grenzen zu Kamerun werden immer wieder Lager illegaler Goldgräber aufgedeckt, dort geht das Schmuggelgeschäft Hand in Hand mit unkontrollierter Wilderei. “Seit drei, vier Jahren finden wir hier immer öfter auch Elefantenwilderer mit Säcken voller Pangolin-Schuppen.” Die mafiösen Elfenbeinhandel-Netzwerke kommen aus Kamerun und Nigeria. Dort, vermutet er, ist das Pangolin wahrscheinlich schon ausgerottet. “Es ist uns nicht gelungen, in diesen Fragen eine regionale Zusammenarbeit aufzubauen. Im Grunde kämpfen wir momentan alleine.”
Das von WWF und IUCN gegründete Netzwerk zur Überwachung des Wildtierhandels Traffic hat analysiert, dass einige Hauptrouten des Wildtierschmuggels nach Asien über Europa laufen. Brüssel und Frankfurt sind zentrale Drehkreuze. White wünscht sich eine stärkere Zusammenarbeit mit europäischen Strafverfolgungsbehörden, die das Thema seiner Meinung nach “nicht ernst genug nehmen”. Dabei ist der milliardenschwere illegale Handel mit wilden Tieren nach Waffen-, Drogen- und Menschenhandel inzwischen das weltweit größte kriminelle Geschäft.
Mehr Engagement von europäischer Seite wäre sinnvoll, sagt er, denn in Zentralafrika steht der Wildtierhandel häufig in Verbindung mit dem Schmuggel von Mineralien, Gold und Diamanten, korrumpiert Staatsbeamte, Polizei und Regierungen und finanziert Milizen und Terrorgruppen. “Wir können uns gerade nur darauf konzentrieren, dass die Wilderei von Pangolinen in Gabun nicht vollends einsetzt und die Tiere in ihrem Lebensraum schützen”, so White. “Wenn wir auch internationale Operationen durchführen könnten, wie gelegentlich mit französischen Behörden gegen den Elfenbeinschmuggel, wären wir viel effektiver.”
David Lehmann setzt in seiner Riesenpangolin-Forschung darauf, dass er den Strafverfolgungsbehörden zukünftig ein neuartiges forensisches Instrument in die Hand geben kann: Er arbeitet daran, mittels der sogenannten Isotopenanalyse die geografische Herkunft von konfiszierten Pangolin-Schuppen zu bestimmen.
Als Isotope bezeichnet man die Atomkerne natürlich vorkommender Elemente wie Sauerstoff, Wasserstoff oder Kohlenstoff, die dieselbe Anzahl Protonen und Elektronen haben, aber regional unterschiedlich eine bestimmte Anzahl von Neutronen aufweisen. Das Mengenverhältnis der Isotope zueinander kann wie eine Art Fingerabdruck eines Organismus gelesen werden.
“Dazu möchte ich eine Datenbank der lokalen isotopen Landschaften Gabuns erstellen, idealerweise sogar ganz Zentralafrikas”, sagt Lehmann. “Mit einer Analyse der Isotopenzusammensetzung wären wir dann in der Lage, den Ursprung beschlagnahmter Schuppen genau zu lokalisieren – das würde helfen, Handelswege konkret nachzuvollziehen und damit den Kampf gegen die Wilderei zu unterstützen.”
Bis das neue forensische Werkzeug eingesetzt wird, ist es noch ein weiter Weg. Doch die Isotopenanalyse wird immer gängiger und günstiger. Dennoch ist Lehmann ungeduldig: Bislang hat er erst von vier Tieren Proben entnehmen können. Aber er plant, in diesem Jahr noch zu einigen Expeditionen aufzubrechen, um weitere Riesenschuppentiere einzufangen und ihnen wichtige Informationen entlocken zu können.