Das artenreiche Donaudelta in Rumänien ist ein gefährdetes Naturparadies, seine Bewohner leben unter bitteren Bedingungen. Um das zu ändern, hat die EU viel Fördergeld in die Region gepumpt. Aber was passiert eigentlich damit? Eine Reise ans Schwarze Meer
Nathalie Bertrams, Ingrid Gercama, Cristian Leonte, Andreea Pavel und Tristen Taylor
„Die warnen sich alle gegenseitig per WhatsApp“, sagt Hauptkommissar George Calmucu. „Bis wir angekommen sind, ist kein Wilderer mehr da.“ Das Schnellboot der Wasserschutzpolizei jagt über die glatte Wasseroberfläche, in der sich die Wolken spiegeln, erschrocken flattert eine Gruppe Wildgänse auf. Seit dem frühen Morgen patrouillieren Calmucu und seine Männer in schusssicheren Westen mit nur drei Booten im 3120 Quadratkilometer großen Donaudelta gegen illegale Fischerei und Wilderer. Keine fairen Ausgangsbedingungen. Aber was läuft hier schon fair ab.
Das Walkie Talkie des Kommissars piepst, die Kollegen, sagt Calmucu, haben ein illegales Fischernetz entdeckt. Der Mann steht in seinem verwitterten Boot, flucht. Er ist zu nah an die geschützte Uferzone herangekommen, bekommt seine Lizenz erst wieder, wenn er zweihundert Euro bezahlt hat.
Solche kleinen Vergehen bestraft die Wasserschutz-Polizei unnachgiebig. Gegen die großen aber sind Kommissare wie Calmucu machtlos.
Die Donau entspringt im Schwarzwald und mündet ins Schwarze Meer, auf ihren 2850 Kilometern durchfließt sie zehn Länder, mehr als jeder andere Fluss der Welt. Sie war das „blaue Band“, das die Donaumonarchie der Habsburger zusammenhielt, und heute führt sie aus der Mitte Europas an dessen Rand. Deutsche Touristen folgen ihr mit dem Rad nach Wien oder mit dem Schiff nach Budapest, aber recht viel weiter kommen die meisten nicht. Dabei ist das gigantische Delta im äußersten Osten Rumäniens, in dem man kaum sagen kann, wo der Fluss endet und wo das Meer beginnt, eine der schönsten Regionen des Kontinents.
Der Fluss teilt sich in der Stadt Tulcea, seine Hauptarme umschließen ein Labyrinth aus Kanälen, Sümpfen und Seen, aus schwimmenden Schilfinseln, Steppen und Auenwäldern. Eine beeindruckende Landschaft mit klangvollen Titeln wie Biosphärenreservat oder UNESCO-Weltnaturerbe, die einen als Außenstehenden jedoch schnell darüber hinwegtäuschen, wie hart das Leben in dieser Idylle sein kann.
Viele Dörfer des Deltas sind nur mit dem Boot erreichbar, in eisigen Wintern von allem abgeschnitten. Seit vierzehn Jahren gehört Rumänien zur Europäischen Union, doch manche Ortschaften haben weder eine funktionierende Kanalisation noch sauberes Trinkwasser, Internet gibt es kaum. Rumänien ist eines der ärmsten Länder der EU, die mit viel Geld versucht, solche gewaltigen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu mindern.
Im Delta aber zeigt sich, dass sich das in der Theorie so viel einfacher anhört als es in der Praxis ist. Auch wenn hierher so viel Geld auf einmal floss wie in keine andere Region Rumäniens, 1,114 Milliarden Euro, bedeutet das noch lange nicht, dass sich damit alles verändert.
Gerade verhandelt Brüssel mit den EU-Mitgliedstaaten über den kommenden Siebenjahreshaushalt. Ein guter Zeitpunkt also, um mal zu fragen: Was ist mit dem bisherigen EU-Geld in Rumänien passiert? Und kommen die Hilfen wirklich alle bei den Menschen an, die sie so unbedingt brauchen?
Hauptkommissar Calmucu hat daran seine Zweifel: „Das Geld haben sich die Schlauen unter den Nagel gerissen.“ Doch ganz so einfach ist es nicht.
Auf der Suche nach Antworten spricht man mit Korruptionsexpertinnen, Insidern und Juristinnen, fährt durch verlassene Dörfer, zu einem verfallenden Denkmal und einem enttäuschten Fischer, man wühlt sich durch Ausschreibungen, Verträge und Vermögenserklärungen wie sie in Rumänien Pflicht sind für Politikerinnen und Politiker. Man stößt auf vieles, das einen stutzig macht, auch wenn manches, nicht überraschend in dieser Region, im Nebel bleibt.
Das Donaudelta war in seiner Geschichte schon immer eine ebenso magische wie zwielichtige Gegend, ein abgelegener Flecken Erde, der sich allzu neugierigen Blicken entzog. Es ist kein Zufall, dass das sozialistische Ceaușescu-Regime seine Leprakranken hier in einem Dorf bei Tulcea vor der Welt verbarg. Anderseits war das Delta auch immer ein Rückzugsraum für ethnische Minderheiten, ein Fluchtort für Freigeister, Einsiedler und Aussätzige, ein Paradies für Schmuggler – unüberschaubar und unbeherrschbar, egal, wer gerade darüber regierte, ob Osmanen, Habsburger oder Kommunisten.
Kein Wunder also, dass es in dieser Gegend nicht ganz leicht ist, der Spur des Geldes zu folgen. Auch für die EU nicht.
Die Reise beginnt auf dem Festland, wo das meiste europäische Geld ankommt, in Tulcea, der Bezirkshauptstadt. Eine Hafenstadt am westlichen Rand des Donaudeltas, viele Kräne, graue Wohnblöcke. Von hier aus brechen Frachtschiffe über die Arme der Donau ins Schwarze Meer auf. „Die Politiker werden reich, aber wir einfachen Leute gehen hier langsam unter“, sagt Rentner Octavian Mocanu auf einer Bank am Markt.
Die rumänische Demokratie war nach dem Sturz des Ceaușescu-Regimes nie richtig stabil, allein in den vergangenen fünf Jahren hat der Staat ein knappes Dutzend Ministerpräsidenten verschlissen. Politik und Unternehmen sind von Vetternwirtschaft und Korruption durchzogen, von Rumäniens etwa zwanzig Millionen Einwohnern fahren manche Ferrari und andere Pferdekarren. Keine Regierung hat das Problem in den Griff bekommen, viele haben es gar nicht erst versucht – und andere waren oder sind Teil des Problems.
Rentner Mocanu schnippt seine Zigarette weg und deutet auf den Sitz der Bezirksregierung. „Wir werden von einer Gruppe Mafiosi regiert.“ Den Chef dieser Bezirksregierung nennen manche hier nur: den Baron des Deltas. Wer sich mit Geld aus der EU beschäftigt, landet zwangsläufig bei ihm.
Horia Teodorescu, der Vorsitzende der Sozialdemokraten in Tulcea, ist seit 2012 und noch bis 2024 der Präsident des Bezirksrats. Seine Partei, deren früher Chef Liviu Dragnea gerade im Gefängnis sitzt, bezeichnen Politikwissenschaftler schonmal als „links-nationalistisches Machtkartell“. Bei der NGO Transparency International heißt es, die Netzwerke um „lokale Machtmenschen“ verwalteten öffentliche Gelder häufig so, dass sie nicht der Allgemeinheit, sondern in erster Linie den Interessen einer kleinen Elite dienten.
Horia Teodorescu ist so ein lokaler Machtmensch – und seine Interessen sind im Stadtbild recht gut sichtbar.
Ein erstes Beispiel, in der Strada Progresului: das Lichiardopol-Haus. Das Königreich Rumänien unterzeichnete dort nach dem Unabhängigkeitskrieg Ende des 19. Jahrhunderts das Abkommen, mit dem die Region Dobruja nach fast einem halben Jahrtausend osmanischer Verwaltung Teil Rumäniens wurde. Ein Ort großer Geschichte, dem man seine Bedeutung heute allerdings nicht mehr ansieht. Die Fassade bröckelt, ein Schild warnt vor dem Betreten. Nebenan wird das denkwürdige Haus von einem relativ neuen Betonklotz überragt: Dieses Hochhaus gehört seit 2007 Teodorescus Firma Condor.
Mit der europäischen Förderung für das Donaudelta wurde nicht etwa das Denkmal saniert, sondern fast eine halbe Million Euro gingen an seine Firma, die eigentlich auf Straßenbau- und Kanalisationsarbeiten spezialisiert ist, um hier „eine Wohneinheit zu errichten“, heißt es in den Verträgen, die der SZ vorliegen, und damit „den Tourismus zu entwickeln“.
Das Projekt hätte Ende vergangenen Jahres abgeschlossen sein sollen, im Erdgeschoss findet sich eine Privatklinik, die oberen sechs Stockwerke des Hochhauses scheinen Mitte Januar noch immer leer zu stehen. Aufkleber an verdreckten Fenstern, der Eingang zum Wohnbereich ist verbarrikadiert – nichts weist darauf hin, dass hier bald Touristen wohnen.
Teodorescu scheint seine beiden Berufe gekonnt miteinander zu verbinden: Als Bezirksrat der Stadt Tulcea hat er eine beratende Rolle bei den EU-Investitionen für das Donaudelta inne, 2020 bekam seine Firma Condor mindestens zwei EU-geförderte Aufträge über mehr als 2,5 Millionen Euro in Dörfern des Deltas. Deren Budgets wiederum unterliegen der Verantwortung des Bezirksrats, und die Bürgermeister im Bezirk sind meist: PSD-Parteifreunde. Insgesamt erhielt Condor zwischen 2007 und 2020 öffentliche Aufträge mit einem Volumen von fast 15 Millionen Euro im Delta.
Auf Anfragen der SZ, ob es da nicht einen Interessenskonflikt gebe, wenn ein Politiker über Gelder mit debattiert, von denen am Ende seine eigenen Unternehmen profitieren, reagiert Teodorescu bis Redaktionsschluss nicht.
Es wäre allerdings schon ein großer Zufall, dass nicht nur seine Firma profitiert hat, sondern auch sein Umfeld: Der Geschäftsführer von Condor nämlich, Robert Berbecel, bekam über 420 000 Euro EU-Gelder für seine eigene Firma. Und die Möbelfabrik Mimp von Teodorescus Frau Mariana erhielt öffentliche Aufträge über 15 000 Euro, sowie mehr als 420 000 Euro aus dem EU-Topf, „um die Wettbewerbsfähigkeit von Mimp SA zu steigern“.
Man hätte gerne von Robert Berbecel erfahren, wofür die öffentlichen Gelder konkret verwendet worden sind oder von Mariana Teodorescu, wem die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit denn zugutekomme. Doch weder Berbecel noch Teodorescu reagierten auf schriftliche Anfragen.
Auf der Landkarte von Tulcea findet sich zwei Kilometer weiter, am Stadtrand, noch ein zweites Beispiel, das einen stutzig macht: Dort steht die Brotfabrik „Goldener Ofen“. Gegründet von einer Parteifreundin Teodorescus, Sirma Caraman, zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann. Die frühere Finanzdirektorin des Bezirks Tulcea wurde vor sieben Jahren zur Staatssekretärin im Ministerium für Regionalentwicklung und öffentliche Verwaltung ernannt, welches dafür zuständig ist, die ordnungsgemäße Verwendung der europäischen Investitionen zu überwachen.
Zwei Jahre, nachdem Caraman ins Ministerium nach Bukarest gegangen war, übertrug sie ihre Anteile an der Backfabrik auf ihren Sohn Cristian, geht aus ihrer Vermögenserklärung hervor. Die Ehefrau des Sohns wiederum, Mirela Caraman, arbeitete bis zum vergangenen Jahr ausgerechnet bei einer Organisation in Tulcea, die ebenfalls mit den europäischen 1,114 Milliarden Euro zu tun hat, die die Projektvergabe koordiniert.
Die Aufgabe von Mirela Caraman war es, die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen im Donaudelta zu steigern – 2018 erhielt die Brotfabrik von Cristian Caraman 320 000 Euro aus der europäischen Investition. Auf Nachfrage der SZ, ob hier nicht ein Interessenskonflikt vorliege, reagierte die Familie nicht.
Je mehr man sich durch die Vermögensauskünfte und Unternehmensdaten gräbt, desto klarer zeichnet sich ein Muster ab: Wer an wichtigen Schaltstellen sitzt, an denen über die Gelder aus Brüssel beraten wird oder sie sogar kontrolliert werden, dessen Firmen oder die der eigenen Familie, der Freunde, scheinen nicht selten selbst zu profitieren. In den kleinen Eliten konzentriert sich große Macht, während andere außen vor bleiben.
Von Tulcea fährt man mit dem Boot ungefähr zwei Stunden nach Sfântu Gheorghe, ein Dorf am südlichen Arm der Donau. Im Sommer, wenn bei 40 Grad Sumpfmücken ausschwärmen, fallen hier die Touristen ein. Die Besucher gehen baden, fahren Boot, angeln, schlendern über die Sandwege des Dorfes, vorbei an den Mütterchen, die in Pantoffeln und selbstgestrickten Socken vor ihren reetgedeckten Holzhäusern auf Bänken sitzen.
Abends sitzt man an langen Tischen in den blühenden Gärten, trinkt Palinka-Schnaps, isst die berühmte Fischsuppe und erzählt sich Seemannsgarn. In diesen heißen Wochen leben Fischer, die ihre Häuser illegal zu Pensionen ausgebaut haben, nicht schlecht von ihren Einnahmen aus dem Tourismus.
Im Winter aber ist das Flussdelta ein anderes. Dann fegt ein kalter Wind, viel Nieselregen und kaum jemand ist unterwegs.
Die erste Straße des Dorfes, ein Haus hinter dem Deich. Innen, im Wohnzimmer, hängen an der Wand ausgestopfte Vögel, präparierte Fische und ein ganz besonderer Kalender: Der Jahreskalender des wertvollen Störs, dessen Eier als Kaviar verkauft werden.
Der Vorsitzende der Fischer des Dorfes sitzt in einem bestickten Baumwollhemd auf einem Schemel, schärft die Stahlhaken. Die wurden früher an Pfählen in den Meeresgrund gehämmert, eine tödliche Falle für die bis zu fünf Meter langen Knochenfische. Heute aber schärft Nicu Emifov sie nur zur Vorführung. Wilde Störe zu jagen, ist seit fünfzehn Jahren verboten, der Kaviar kommt heute aus Aquakultur.
Trotzdem ist der Fischer noch immer stolz auf die alte Tradition, seine Familie lebt seit Generationen vom Fischfang. Sein Dorf war einmal das Zentrum des Handels mit Kaviar, damals brachten die Eier der wilden Beluga-Störe, den größten Süßwasserfischen Europas, den Fischern bis zu tausend Euro pro Kilo ein.
Die Fischerei ist heute noch das wichtigste Gewerbe im Donaudelta, doch die Auflagen sind inzwischen hoch und die Fangquoten niedrig. Die Störe sind vom Aussterben bedroht, Abwässer und Dünger verpesten den Fluss, auch der Klimawandel gefährdet das ökologische Gleichgewicht: das Wasser wird wärmer, die Fische werden weniger. Die meisten jungen Leute sind schon lange weggezogen, auch der Sohn von Emifov studiert in Bukarest.
„Damit Rumänien der Europäischen Union beitreten konnte, gab es Bedingungen“, sagt der Fischer verärgert. Eine davon war das Verbot der Störfischerei im Jahr 2006, Rumänien wurde 2007 Mitglied der EU. Ihnen, den Fischern, sagt Emifov, sei damit die Haupteinnahmequelle entzogen worden, ohne Alternativen anzubieten. Und: Wenn jetzt doch mal ein Stör im Netz zappeln sollte, werfe den sicher niemand wieder ins Wasser.
Eigentlich sollte das Geld aus Brüssel genau dafür da sein: Um Menschen wie Emifov eine Alternative zu bieten. Eine grüne, nachhaltige Wirtschaft zu fördern, kleine und mittlere Unternehmen und sanften Tourismus. Doch davon ist hier, in Sfântu Gheorghe, noch nicht viel zu sehen.
Mit den gut gemeinten Hilfen aus Brüssel, das beginnt man auf dieser Reise zu verstehen, gibt es zwei grundsätzliche Probleme: Erstens wird die mehr als eine Milliarde über einen Finanzmechanismus aus verschiedenen EU-Fördertöpfen vergeben, der ungefähr so kompliziert ist wie der Name: integrierte territoriale Investitionen, kurz ITIs. Selbst für Experten ist das Konstrukt schwer zu durchschauen und deshalb auch schwer zu kontrollieren. Zweitens bestimmen lokale Akteure vor Ort selbst, wohin das Geld geht – und die Europäische Kommission überlässt den rumänischen Partnern die Überprüfung.
Nun ist das erst einmal keine schlechte Idee. Die Leute vor Ort wissen in der Regel ja selbst am besten, wo Geld gebraucht wird und wo nicht. Etwa ein Fünftel des Budgets der EU fließt in Projekte wie etwa eine neue Straßenbahn in Lettland, Breitbandinternet in Griechenland oder die Renovierung eines polnischen Bahnhof. Und auch auf der Projektliste Rumänien hört sich vieles sinnvoll an – aber manches eben auch eher merkwürdig.
Die eigentlich tolle Idee, den Ländern selbst die Entscheidung zu überlassen, scheitert dort, wo sich die Korruption schon tief eingefressen hat, und wo am Ende die entscheiden, die weniger am Wohle aller interessiert sind als an ihrem eigenen.
Im Delta gibt es eine lokale Aktionsgruppe, die eine Brücke zwischen dem Europäischen Fonds und den Fischern sein soll und die Projekte auswählt, die Geld bekommen. Überall in Europa haben sich solche Gruppen gegründet, um Geld aus dem Meeres- und Fischereifonds zu erhalten, auch in Deutschland. Die Flag Donaudelta, kurz für Fisheries Local Action Group, soll eigentlich genau das tun, was der Fischer in Sfântu Gheorghe gefordet hat: neue Jobs schaffen, Innovationen fördern, etwa neue Öko-Kraftstoffe aus Schilf.
Doch auch hier zeichnet sich ein Muster ab, dass einem vorher schon in den Straßen von Tulcea begegnet ist.
Der Präsident der Aktionsgruppe zum Beispiel, Daniel Buhai, lebt wie so viele im Delta vom Fisch, allerdings in großem Stil. Er besitzt mit seiner Frau Daniela die Firma Deltaica Seafood, die ihren Sitz ebenfalls in Tulcea hat. Seine Anlagen verarbeiten bis zu 700 Tonnen Fisch in einem Jahr, Räucherfisch, Meeresfrüchte und Fischei-Salate. Ein Umsatz von fast 3,7 Millionen Euro.
Vor zwei Jahren erhielt seine Firma über die ITIs mehr als 320 000 Euro für die Modernisierung einer Fischverarbeitungsanlage, liest man in einer offiziellen Projektliste. Und Buhais zweites Unternehmen Miadmar Fishing, die eigener Werbung zufolge „größte Fischereiflotte Rumäniens“, erhielt etwa 55 000 Euro für die „Errichtung einer kleinen Fischerhütte“, auch das geht aus einer öffentlichen Liste hervor. Buhai schreibt auf Anfrage der SZ, dass er mehr als 40 Arbeitsplätze in seiner Fischfabrik geschaffen habe, somit stehe das Projekt im Einklang mit den Zielen der Entwicklungsstrategie für das Donaudelta.
Das lässt sich nicht nachprüfen. Doch unabhängig davon fragt man sich: Ist es richtig, dass ausgerechnet der Mann, der die EU-finanzierten Projekte koordinieren und Fischergemeinden vertreten soll, mit seinen eigenen Firmen profitiert?
Buhai sitzt an so gut wie allen wichtigen Schaltstellen, ist zum Beispiel Vorsitzender von Ro-Pescador, einem Verband, der Fischproduzenten bei der Vermarktung ihrer Produkte helfen soll, der wiederum ein Gründungsmitglied von Flag Donaudelta ist.
Auch dieser Verband erhielt Geld von Flag, nämlich 590 000 Euro, bestätigt die Europäische Kommission auf Nachfrage. Die beiden Unternehmen von Buhai wiederum, Deltaica Seafood und Maidmar Fishing, sind Gründungsmitglieder von Ro-Pescador. Viele Verbindungen, die alle zu einem Mann führen: Buhai.
Auf Nachfrage gibt er an, dass die „Mitglieder von Ro-Pescador gemäß den Bestimmungen des Leitfadens für Antragsteller und den Betriebsverfahren Projekte einreichen können“. Darüber dürfe sein Projekt im Donaudelta „große positive Veränderungen“ bewirken.
Ob er damit Recht behalten wird, kann nur die Zukunft zeigen, wie überhaupt viele der mit dem EU-Geld finanzierten Projekte noch nicht begonnen haben und deshalb auch noch nicht überprüft werden können. Eines aber ist schon jetzt sicher: Auf Distanz scheint man hier nicht immer Wert zu legen.
Stört sich daran denn niemand?
Camelia Bogdan ist Richterin am Berufungsgericht Bukarest und Expertin für die Bekämpfung von Korruption – vor ein paar Jahren verurteilte sie einen einflussreichen Politiker im Land wegen Betrugs und Geldwäsche. Sie schlägt vor, Horia und Mariana Teodorescu, Daniel Buhai, Sirma und Mirela Caraman, und Berbecel sollten von rumänischen und europäischen Behörden auf Geldwäsche, Verstöße gegen finanzielle Interessen der EU oder Interessenkonflikte untersucht werden.
Die Europäische Kommission schreibt auf Anfrage lediglich, dass die rumänischen Behörden sowie der Verband Flag selbst dafür verantwortlich seien, Maßnahmen zur Vermeidung eines Interessenkonfliktes zu gestalten. Die Generaldirektion Fischerei der EU schrieb allerdings schon 2014 an Daniel Buhai: „Die an der Ausarbeitung eines Projekts beteiligten Personen dürfen in keiner Weise in den Prozess der Bewertung und Auswahl des Projekts einbezogen werden.“ Genau dies sagt Buhai: dass er sich bei der Auswahl der geförderten Projekte an die Vorgaben gehalten habe.
„Es hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack“, sagt Dan Verbina am Telefon, der bei alldem nicht mitmachen wollte. „Tatsächlich hatten die Fischer keinerlei Zugang zu den europäischen Geldern.“ Er ist Präsident der Föderation der Fischproduzenten des Donaudeltas, die bewusst nicht bei der Flag dabei ist. Verbina wollte nicht in einen Interessenkonflikt geraten, sagt er, zwischen seiner Rolle als Präsident und seinem eigenen Geschäft, für das er ja selbst Projekte einreichen wollte. Im sumpfigen Donaudelta nicht unbedingt selbstverständlich.
Die Europäische Kommission entsandte zweimal ihre Delegierten nach Tulcea, um die Finanzierung zu prüfen, 2017 und 2018. Am Ende des ersten Treffens erklärte der Vertreter der europäischen Delegation dem Protokoll zufolge, dass das Geld dringend schneller verteilt werden müsse. Die mehr als eine Milliarde Euro nämlich waren an eine Bedingung gekoppelt – das Geld musste in den Jahren 2014 bis 2020 ausgegeben werden. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade einmal drei Prozent verteilt worden, wohl aus Überforderung, und die Frist rückte immer näher.
In nur zweieinhalb Jahren musste noch über eine Milliarde ausgeschüttet werden.
Die rumänischen Vertreter betonten laut Protokoll der Sitzung, sie hätten Projekte von Anfang in weniger als einem Tag genehmigen. Die Vergaberichtlinien sollten ruhig flexibler gestaltet werden, hieß es von Seiten der Kommission. „Es werden keine Hindernisse gesetzt.“ Womöglich war das der fatale Fehler.
Wer schnell viel Geld zu vergeben hat, verliert rasch den Überblick – und das Ziel aus den Augen.
Wenn es nach Dan Verbina geht, müsste man zum Beispiel vor allem in die Natur investieren. Ruhige Zonen für Fische schaffen, die Gewässer reinigen, um die Fischpopulationen zu erhöhen und damit den Fischer zu helfen. Doch nur insgesamt sieben der bislang 1 180 europäisch finanzierten Projekte widmen sich im Weltnaturerbe überhaupt dem Naturschutz.
Der größte Teil des Geldes fließt in Privatunternehmen, in Infrastrukturprojekte wie eine Hängebrücke oder den Ausbau des Flughafens von Tulcea, alles auf dem Festland.
Fragt man Andrei Bodean, den Generalstaatsanwalt der Nationalen Antikorruptionsbehörde, sagt er, das Hauptproblem Rumäniens sei die geringe Anzahl von Staatsanwälten und die große Anzahl der Fälle. Er hofft deshalb auf die europäische Staatsanwaltschaft, vor vier Jahren gegründet, noch dieses Jahr wird sie ihre Arbeit aufnehmen. Die Erwartungen sind hoch, und das hat wesentlich mit der Frau tun, die sie führt: Die rumänische Juristin Laura Kövesi, 47 Jahre alt, war von 2013 bis 2018 Chefin der Antikorruptionsbehörde ihres Landes. In dieser Zeit erwarb sie sich den Ruf einer unerbittlichen Aufräumerin.
Plötzlich wanderten käufliche Abgeordnete und Bürgermeister, Minister und Richter ins Gefängnis. Die Unantastbaren der rumänischen Gesellschaft waren auf einmal antastbar. Doch die alten Eliten schlugen zurück: 2018 wurde Kövesi von der sozialdemokratischen Regierung entlassen, nun ist sie in neuer Rolle zurück – und einer der Hauptschauplätze ihrer Arbeit dürfte ihre rumänische Heimat sein. Vermutlich auch die Bezirkshauptstadt Tulcea.
Von dort aus führt ein schnurgerader kanalisierter Donauarm einmal durch das Delta nach Sulina, der östlichsten Stadt Europas am Schwarzen Meer. Vor dem Rathaus hängt eine europäische Flagge neben der rumänischen schlapp im Regen, ein paar Straßen weiter füttert eine Frau im roten Parka drei magere Straßenköter. „Ich habe im Fernsehen von dem Geld gehört, aber hier ist nichts zu sehen“, sagt die pensionierte Physiklehrerin Laurenția Șurlea. „Schauen Sie sich doch um.“
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus schloss hier die einst größte Fischkonservenfabrik Rumäniens, die Werft ging bankrott. Dabei war ausgerechnet diese Stadt bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg Sitz der Europäischen Donaukommission, einer Vorläuferin der EU, von den damaligen Großmächten Europas 1856 gegründet, um den Handel auf der Donau zu regulieren. Heute sieht man Sulina von seiner einstigen Bedeutung nichts mehr an. Moosige Betonfassaden, verfallene Häuser.
Heute kommen, außer im Sommer, kaum noch Besucher vorbei, Sulina hat nur noch 3700 Einwohner, ist nur mit dem Boot erreichbar. In harten Wintern braucht man einen Eisbrecher, um von hier weg zu kommen, wer alt oder krank ist, hat es besonders schwer. Es gebe nur ein Gesundheitszentrum, sagt die Rentnerin, in dem man eine Injektion bekommen könne – „oder man wird mit der Ambulanz nach Tulcea geschickt wird, falls die noch etwas frei haben.”
Zwar haben sie in Sulina dank den Geldern der EU jetzt immerhin ein Ambulanzboot, und auch der alte Leuchtturm wird restauriert, beides keine schlechten Initiativen – doch manche Bewohner hier hätten sich wohl mehr über die Wiedereröffnung der alten Klinik gefreut. Vor vielen Jahren wurde das Krankenhaus geschlossen, das Leute wie Șurlea hier eigentlich dringend brauchen. Zumindest mehr als eine Pension.
In dem abgelegenen Ort nämlich wird gerade eine Pension für Touristen hochgezogen, mit Schwimmbad. Ein Privatprojekt, Kosten 1,6 Millionen Euro. Etwas außerhalb von Sulina, an einer Kaistraße direkt am Fluss, steht schon der Rohbau. Auf dem Bauschild findet sich ein Unternehmen aus Bukarest und das kleine blaue Symbol, das zeigt: das Geld kommt von der EU.
Diese Recherche wurde von Investigative Journalism for Europe (IJ4EU) gefördert.