Neue grüne Welle – Süddeutsche Zeitung

Lebensmittel, Kosmetik, Tierfutter, Dünger, Plastik – Industrie und EU haben Seetang als Rohstoff der Zukunft entdeckt. Was sind die ökologischen Folgen einer europäischen Algenindustrie?

  • von Nathalie Bertrams, Ingrid Gercama und Tristen Taylor

Ein Flaschenzug, ein Förderband und ein paar Plastikplanen: In einer offenen Lagerhalle oberhalb der Mulroy Bay im Norden Irlands werden Algen geerntet. Zwei Männer in Ölzeug schneiden goldbraun-glänzende Seetangblätter von Tauen, die vor kurzer Zeit noch im Atlantik hingen.

Die Pflanzen wurden im Labor vorkultiviert, an Zuchtleinen im Meer versenkt und nach ein paar Monaten Wachstum wieder eingeholt. Es sei Pionierarbeit, sagt Joost Wouters, Gründer von The Seaweed Company. Techniken und Maschinen müssten von Grund auf neu erfunden werden.

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Getrocknet schmeckt der irische Flügeltang hinreißend nach Meer, schwärmt Wouters. Sein Seetang geht an die Lebensmittelindustrie und steckt zum Beispiel in pflanzlichen Hamburgern. Seetanganbau verbrauche vor allem keine knappen Ressourcen. Er reinige sogar Buchten und Küstengewässer von Schadstoffen wie Stickstoff und Phosphat durch die Landwirtschaft oder aus der Fischzucht. “Das ist das Schöne daran, man braucht kein Land, kein Süßwasser und keinen Dünger”, sagt Wouters. “Deshalb sehen jetzt so viele Leute interessante Möglichkeiten in Algen.”

Nicht nur bei Seetang-Pionier Wouters grassiert das Algenfieber. Entlang den europäischen Atlantik- und Nordseeküsten werden überall Algenfarmen gegründet. Weltweit soll die Industrie bis zum Ende des Jahrzehnts von knapp 40 auf bis zu 90 Milliarden Euro Umsatz anwachsen, prognostizieren Marktforscher. Daher zeigen multinationale Unternehmen, Start-ups und Investmentbanken in ganz Europa Interesse an dem neuen Sektor. Auch die EU-Kommission stellt großzügige Subventionen für die Algenbranche bereit.

Laut EU sollen Algen zukünftig einen wichtigen Beitrag zu den Klimazielen des Green Deal leisten, mit dem sie ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren will. Die Pläne sind äußerst ehrgeizig. Die Mitgliedstaaten könnten theoretisch bis zu einer halben Million Quadratkilometer Meeresfläche für den Seetanganbau freigeben, schätzt ein Beamter der EU-Kommission. Das sind umgerechnet etwa 70 Millionen Fußballfelder. Wenn alles nach Plan läuft, könnte die Industrie bis zum Jahr 2030 rund acht Millionen Tonnen Seetang ernten, so die Vision.

Ökologen und Meeresbiologen aber haben Bedenken, dass industrielle Algen-Monokulturen tiefgreifende Veränderungen für die nordeuropäische Meeresökologie bedeuten könnten. Sie warnen vor invasiven Arten, dem Verlust von Biodiversität und die Zerstörung des Habitats von Meeressäugern wie dem Schweinswal.

“Erst unter Wasser sieht man, was wir hier schützen wollen”, sagt Dolf d’Hondt, bevor er im Trockenanzug und mit rosa Taucherbrille in den Nordatlantik eintaucht. Gemeinsam mit anderen Einwohnern des Fischerdorfes Bantry kämpft der Umweltaktivist gegen die kommerzielle Ausbeutung der Seetangwälder im Süden Irlands. Von oben wirkt die Felsküste schroff und grau. Unter Wasser aber leuchten: gelbe Meeresspaghetti, lila Lappentang, grüner Meersalat und die schwebenden goldbraunen Blätter des Riesentangs.

Hunderte von Arten leben unter den Kronen der Tangpflanzen. Wie Regenwälder an Land gehören Kelpwälder zu den produktivsten und artenreichsten Ökosysteme des Planeten. Die Unterwasserpflanzen dienen nicht nur als Kinderstube und Lebensraum für viele Fische, Krebse, Würmer und Wirbellose, sie bieten auch Robben und anderen Säugetieren Nahrung und perfekten Schutz. Die Tangwälder wachsen vor allem in den kühleren Gewässern der gemäßigten Breitengrade, in Europa zum Beispiel vor den Küsten Irlands und Norwegens oder in der Helgoländer Bucht.

“Das alles würde zerstört werden.” D’Hondt zeigt auf die Küstenlinie der Bantry Bay. Das Pharmaunternehmen BioAtlantis, das Zusatzpräparate für die Schweine- und Rindermast herstellt, erhielt 2014 die Lizenz zum maschinellen Ernten von Seetang für ein 7,5 Quadratkilometer großes Gebiet. Die Bewohner befürchten, dass die Abholzung des Unterwasserwaldes in ihrer Bucht verheerende ökologische Folgen haben wird. Nicht nur würde wertvoller Fischgrund verloren gehen, ohne den schützenden Tang könnte es zu Küstenerosion kommen, Sturmschäden würden zunehmen. Die Proteste gegen die Genehmigung dauern seither an und der Fall ist vor Gericht noch nicht entschieden.

Obwohl sie weltweit von Meereserwärmung bedroht sind, werden Kelpwälder in Europa nicht geschützt. In den Fjorden Norwegens, an der bretonischen Küste in Frankreich und rund um Island wird Wildtang maschinell mit Booten geerntet. Trawler mit großen Stahlklauen werden eingesetzt, die den Meeresboden durchpflügen, bis das ganze Seetangbett mit Stumpf und Stiel aus dem Wasser gezogen ist. Es dauert bis zu fünf Jahre, bis die Pflanzen nachgewachsen sind. Einige einheimische Seetang-Arten entlang der Südküste Norwegens sind dadurch schon so gut wie verschwunden.

Vor 3,5 Milliarden Jahren, lange vor den Landpflanzen oder Dinosauriern entstanden Blaualgen: der erste Organismus auf der Erde, der Sauerstoff produzierte. Heute gibt bis zu 400.000 Algenarten mit einer enormen genetischen Diversität – von mikroskopisch kleinen Kieselalgen bis zum Riesen-Seetang. Rund 80 Prozent sind Mikroalgen, mit bloßem Auge nicht erkennbar. Braune, rote und grüne Makroalgen hingegen werden vermutlich seit der Jungsteinzeit als Nahrung, Tierfutter und Dünger für den Anbau von Nutzpflanzen verwendet.

Da Algen viel hochwertiges Protein, Fette, Vitamine, Ballaststoffe und Mineralien enthalten, werden sie inzwischen als Superfood gehandelt. Big Food-Konzerne wie Cargill, Unilever oder Nestlé brauchen die Pflanzen vor allem für die Gewinnung von Alginat, Agar oder Carrageen, besser bekannt als E407. In den Regalen unserer Supermärkte stehen Tausende Produkte, in denen in irgendeiner Form Algen stecken, als Bindemittel in Brotaufstrichen, Eis und Joghurt oder Stabilisator in Salatsoßen, Ketchup und Babynahrung.

Immer mehr Industriezweige sehen in Algen ein Material mit riesigem Potenzial für eine biobasierte Zukunft, das die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen verringern kann und den CO2-Fußabdruck unseres Konsums drosseln soll. Industriedünger, Medikamente, grüne Baustoffe und Farben, Bioplastik und Flugzeugbenzin – die Liste der Anwendungen scheint unbegrenzt. Algenextrakte werden Tierfutter beigemischt, um klimaschädliche Methanemissionen in der Viehwirtschaft zu bekämpfen. Und in dem Maß, wie das Interesse an Algen, ihrem Anbau und ihren Anwendungen zunehmen, steigt auch ihr Wert auf dem Markt.

Bislang stammen aber 97 Prozent der Algen aus Asien, wo kommerzielle Algenfarmen ganze Buchten einnehmen. In China, Indonesien und den Philippinen bietet ihr arbeitsintensiver Anbau mehr als einer Million Menschen ein Einkommen. Immer wieder kommt es in asiatischen Meeresfarmen jedoch zu Problemen. Die Algen sind oft mit Schwermetallen belastet oder haben mit Bakterieninfektionen und Fäulnisbildung zu kämpfen.

Die Covid-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die Klimakrise haben mittlerweile verdeutlicht, wie wichtig es ist, eigene Rohstoffe zu produzieren. Die Algenzucht außerhalb Asiens steckt aber noch in den Kinderschuhen. Momentan kommt nur ein Bruchteil der 35 Millionen Tonnen Algen aus Europa: gerade mal 300.000 Tonnen Seetang pro Jahr. Und die sind meist nicht aus Zucht, sondern größtenteils aus der Ernte von Wildbeständen. Darum setzt die EU auf den Ausbau einer europäischen Seetang-Industrie: Algen seien das ‘Gold der Meere’.

Dolf d’Hondt sagt dazu: “Der Anbau von Tang ist aus unserer Sicht erst einmal positiv. Man verursacht potenziell keine Umweltschäden, man erhöht die Artenvielfalt und die Anzahl der Meeresökosysteme”, sagt er. Aber großen Firmen ginge es häufig nur ums Geld. “Und genau das ist das Problem. Sie schauen weder auf die Umwelt noch die Ökologie, noch schauen sie darauf, wie viel nachhaltig produziert werden kann. Sie schauen nur auf Tonnage.”

Wenn es nach der EU und verschiedenen Lobbyorganisationen geht, wird eben diese Tonnage benötigt, um eine ernsthafte Alternative zum asiatischen Algenmarkt darzustellen. Die EU-Kommission hat im Rahmen des Forschungsprogramms Horizont 2020 inzwischen mehr als hundert Algenprojekte mit einem Beitrag von 273 Millionen Euro gefördert. Das United-Projekt beispielsweise erforscht den Anbau von Zuckertang und Muscheln zwischen Offshore-Windanlagen in Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Auf sogenannten Mehrzweckplattformen wird untersucht, wie Synergien am selben maritimen Standort funktionieren und wie die Auswirkungen auf das Meeresökosystem sind.

Die deutsche Pilotanlage steht 80 Kilometer vor Sylt vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. “Wir wollen wissen, ob es technisch möglich ist, ein System an einem so exponierten Offshore-Standort zu betreiben”, sagt Projektleiterin Eva Strothotte vom Forschungs- und Entwicklungszentrum der FH Kiel. “Die Nachfrage nach Offshore-Kultivierung wird immer größer, weil die küstennahen Gewässer schon voll sind. Es gibt einfach nicht genug Platz und der Bedarf an Nahrungsmittel und Proteinen wächst.”

Die Nordsee mag auf den ersten Blick weitläufig und leer erscheinen, in Wirklichkeit ist sie überlaufen: Fischfangflotten und Schifffahrtslinien, Pipelines und Bohrinseln, Kabel und Trassen, Naturschutzgebiete, militärische Sperrgebiete und Offshore-Windanlagen konkurrieren um Fläche im Meer. Die Ampelkoalition hat die Ausbauziele für Windparks noch einmal radikal erhöht, von heute knapp acht Gigawatt auf 70 Gigawatt bis 2045. Das bedeutet den Bau Tausender neuer Windräder. Ein heißes Thema, sagt Strothotte: “Der Druck auf die Windindustrie wächst gerade enorm, weil die Gebiete nicht mehr nur für einen einzigen Nutzer in Anspruch genommen werden können.”

Um auf einen künftigen Betrieb und Upscaling vorbereitet zu sein, versucht das Pilotprojekt zu ermitteln, wo die Risiken und Gefahren liegen und ob Offshore-Aquakultur in absehbarer Zeit auch wirtschaftlich realisiert werden kann. “Es ist extrem aufwendig. Wir müssen nach technischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Lösungen suchen”, betont Strothotte. Unternehmen aus aller Welt schauten auf das Projekt. “Wenn es unter diesen schwierigen Bedingungen funktioniert, dann wird es überall funktionieren. Dann können neue Gebiete erschlossen werden.”

12 Kilometer vor der niederländischen Küste, eine Stunde Fahrt vom Hafen Scheveningen entfernt, macht die Schiffsschraube der Janne YE23 Überstunden. Auf einem 600 Hektar großen Gelände probiert das belgisch-niederländische Konsortium Wier & Wind, Teil des United Projekts, verschiedene Techniken für Seetanganbau und -ernte aus. Geschickt positioniert der Skipper einen schaukelnden Muschelkutter neben einen Schlauch von 50 Metern Länge, an dem ein Netz mit Algen hängt. Der Eisenarm der neuen Verarbeitungsmaschine hebt die Konstruktion an und schüttelt den geernteten Seetang in einen an der Maschine befestigten Sack.

“Dies ist ein wichtiger Schritt nach vorn”, sagt Eef Brouwers von North Sea Farmers, einer Organisation mit Sitz in Den Haag, die die Interessen von rund 100 Unternehmen der europäischen Algenindustrie vertritt, darunter Unilever, Vattenfall und Shell. Die Lobbygruppe setzt sich bei der EU für Subventionen, Spielraum für die Ausweitung der industriellen Produktion und vor allem für vereinfachte und beschleunigte Genehmigungsverfahren ein. “Wir wollen in der Zukunft in der Lage sein, unsere Rohstoffe nachhaltig in unserem eigenen Hinterhof anzubauen, anstatt sie aus der ganzen Welt zu importieren, was oft verheerende Auswirkungen auf den ökologischen Fußabdruck und Ökosysteme anderswo hat”, sagt Brouwers.

Er hat die Vision, dass die Nordsee im Jahr 2030 ganz anders aussehen könnte und wünscht sich, dass in den Niederlanden dann auf mindestens 400 Quadratkilometern Seetang zwischen Windparks wächst. Diese Fläche sei notwendig, um die Produktion zu steigern und damit die Gewinnspanne für die Erzeuger attraktiv zu machen. Zehn Millionen Tonnen, mehr als ein Viertel der Weltproduktion sei das erklärte Ziel.

Marc-Philippe Buckhout von Seas At Risk, ein Zusammenschluss von 30 Umweltorganisationen, die sich für die europäischen Meere einsetzen, ist kritisch. “Ich habe ein Déjà-vu aus dem Mainstream-Aquakultursektor, der von der Europäischen Kommission als nachhaltige Alternative zur Fischerei gefördert wurde”, sagt Buckhout. Er befürchtet, dass es sich um einen neuen grünen Hype handelt, mit potenziell negativen Auswirkungen. “Für ein lukratives Geschäft und vor allem, um die hohen Mengenanforderungen der chemischen Industrie zu befriedigen, muss man riesige Flächen für die Algenproduktion zur Verfügung stellen. Und das birgt Risiken.”

Dass die Nachfrage nach Seetang rapide ansteigt, bereitet nicht nur ihm Sorge. Eine Studie im New Phytologist analysiert, dass industrielle Algenzucht tiefgreifende, irreversible Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben könnte. Große Algenplantagen ab 20 Quadratkilometern absorbierten Licht, Nährstoffe und kinetische Energie in einem Maßstab, der das marine Ökosystem drastisch verändern könne, schreiben Wissenschaftler in Frontiers in Marine Science. Intensive Monokulturen könnten die genetische Vielfalt beschränken und Krankheitserreger hervorbringen, die dann auch Wildpopulationen infizieren könnten. Das ist global bereits ein großes Problem.

Auch die Verbreitung nicht heimischer Seetange könnte katastrophale Folgen haben, da sie einheimische Arten schwächen oder ausrotten. “Was man heute in der Nordsee aussetzt, kann man in einer Woche in dänischen Gewässern finden”, sagt Reinier Nauta von der Universität Wageningen. “Die Vernetzung des Gebiets ist im Vergleich zu terrestrischen Systemen viel größer.” Meeresökosysteme leiden weltweit am meisten unter invasiven Arten. Es sei von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass die Nachhaltigkeit des Algenanbaus gewährleistet sei und die EU strenge Schutzmaßnahmen ergreife.

“Eine der wichtigsten Fragen ist die Auswirkung des Algenanbaus auf den Nährstoffhaushalt des Meeres”, so Algenforscher Nauta. Groß angelegte Projekte mit hohen Besatzdichten könnten einen Rückgang des Phytoplanktons zur Folge haben, eine wichtige Nahrung für Fische, die wiederum von Robben und Schweinswalen gefressen werden, erklärt er. Deren Zahl ist allein in der Nordsee so sehr geschrumpft, dass der Schweinswal seit 2020 als “stark gefährdet” auf der Roten Liste geführt wird. Kunststoffnetze würden die Umwelt verschmutzen, die Säugetiere würden sich darin verfangen und vom Unterwasserlärm durch maschinelle Erntefahrzeuge noch mehr beeinträchtigt werden als ohnehin schon.

Eef Brouwers von North Sea Farmers sagt, dass bisherige Projekte zu klein gewesen seien, um messbare Ergebnisse hervorzubringen. “Wir müssen erst einmal auf eine gewisse Größenordnung kommen, um herausfinden zu können, was vor sich geht. Natürlich gibt es Daten über die Meeresalgenzucht, aber nicht in einer Offshore-Situation. Die Dynamik ist hier völlig anders”, sagt er. “Wir wissen noch nicht, welche Auswirkungen das auf die Umwelt hat.”

Einige Unternehmen versprechen, durch Algenfarmen CO2 einzusparen und dadurch den Klimawandel zu bekämpfen. Darum gibt es unter anderem auch in der Europäischen Kommission Ideen, dass die Pflanze ein vielversprechender Kandidat für Kohlenstoff-Gutschriften sein könnte. Projekte, die Kohlenstoff binden, zum Beispiel durch Aufforstung, können einen Kredit für jede Tonne CO2 bekommen, die nicht in die Atmosphäre gelangt. Diese kontrovers diskutierten Emissionszertifikate gibt es seit den 1990er-Jahren. In Zukunft könnten Unternehmen Algenwälder aufkaufen oder anbauen, mit denen sie ihre Emissionen kompensieren, was im Wesentlichen eine Subventionierung der Algenindustrie bedeuten würde, aber nicht unbedingt notwendige CO2-Einsparungen.

Denn obwohl schnell wachsender Seetang ein effizienter Kohlenstoffspeicher ist, der bis zu 20-mal mehr CO2 aufnimmt als eine Landpflanze mit dem gleichen Volumen, geht das meiste nach einem kurzen Wachstumszyklus wieder zurück in den Kohlenstoffkreislauf, und zwar wenn der Tang verrottet, gefressen oder geerntet wird. Nur wenn Algenstücke abbrechen und sich in der Tiefsee – in ein bis drei Kilometer Tiefe – ablagern, ist der darin enthaltene Kohlenstoff für mehrere Hundert Jahre sicher eingeschlossen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace ist besorgt, dass das Versprechen von CO2-Emissionshandel mit “Blauem Kohlenstoff” zu einer massiven Ausweitung der Algenzucht führen könnte. “Es besteht die Gefahr, dass die Kohlenstoffmärkte alles andere übertrumpfen und zu ungeeigneten Standorten oder einer nicht nachhaltigen Ausweitung der Aktivitäten führen, die dann negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben und sogar die natürlichen Kohlenstoffsenken beeinträchtigen können”, sagt David Santillo, Marinebiologe und leitender Wissenschaftler bei Greenpeace.

Die FAO warnt, dass Experimente zur Kohlenstoff-Sequestrierung in der Tiefsee ungeahnte Auswirkungen auf den Meeresboden und das Ökosystem haben könnten. Eine echte Einsparung könne aber beispielsweise die Beimischung von Algenextrakte zu Tierfutter sein, durch die Kühe weniger als halb so viel Methan freisetzen – eine viel beachtete Innovation, da Rinder für die Milch- und Fleischproduktion über neun Prozent der gesamten menschengemachten Treibhausgasemissionen verursachen. Und natürlich gebe es ein großes Einsparpotenzial für CO2-Emissionen, wenn Makroalgen in Produkten benutzt werden, für deren Herstellung derzeit Materialien aus fossilen Brennstoffen verwendet werden.

In Mulroy Bay hofft Joost Wouters, dass die neue Industrie nicht die gleichen Fehler macht wie an Land. “Das ist ein Risiko, dessen sind wir uns sehr bewusst”, sagt er. Denn das Algenfieber werde “auch Leute anziehen, die sich nicht um die Natur kümmern und nicht mit der Natur wachsen wollen”. Darum habe The Seaweed Company ein dezentralisiertes System, mit vielen kleinen Farmen statt einer Großanlage. Dennoch glaubt er, dass man skalieren müsse, um Wirkung zu erzielen: “Um nachhaltig in finanzieller, sozialer und ökologischer Hinsicht zu sein, dafür braucht man eine Menge Algen.”

Diese Berichterstattung wurde durch den Howard G. Buffett Fund for Women Journalists der International Women’s Media Foundation und durch den Postcode Lotteriefonds von Free Press Unlimited unterstützt.

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